Aharon Appelfeld – Meine Eltern
Ihre Sommer verbringen die Eltern des zehnjährigen Erwin gerne mit ihrem Sohn auf dem Land, am Ufer des Flusses Prut. Hier versammeln sich während der Ferien eine Reihe anderer Sommerfrischler; die meisten von ihnen säkularisierte Juden. Erwin verbringt viel Zeit damit, die unterschiedlichen Charaktere zu beobachten. Da ist der einbeinige Alte, der meistens miesepetrig vor sich hinsieht und den anderen ihre Unbekümmertheit und Oberflächlichkeit vorwirft. Oder die kapriziöse P., die zu viel trinkt und auf Männerschau ist. Der Arzt, Dr. Zajger, der sich unermüdlich um die Armen kümmert und für seine Patienten nicht nur viel Schlaf opfert. Oder der Schriftsteller Karl König, der verzweifelt versucht, weitere Kapitel seines Buches zu seiner Zufriedenheit fertigzustellen. Sie alle beobachtet der junge Erwin in diesem Sommer des Jahres 1938 ganz genau. Das gilt auch für seine Eltern, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die sanfte Mutter hat sich aus ihrer Kindheit in einem streng religiösen Elternhaus einen einfachen Glauben und unerschütterliches Gottvertrauen bewahrt. Der Vater wiederum ist Realist, Zyniker und erklärt täglich, dass die nächste Sommerfrische woanders verbracht werden soll, wo der Sohn auf kultiviertere Menschen trifft.